Die soziale Konstruktion des Anderen – zur soziologischen Frage nach dem Tier
Von Birgit Mütherich
Einleitung: Tiere haben von jeher menschliche Gemeinschaften und Kulturen mit geprägt, sei es als Götter oder mythologische Mischwesen, als Verkörperung des Guten und Bösen, Verbündete oder Feinde, als Jagdbeute und so genannte „Nutztiere“ oder als konkrete Interaktionspartner. Im Spannungsfeld zwischen dem Eigenen, dem Verwandten und dem Anderen übernehmen sie eine wichtige Funktion zur gesellschaftlichen Produktion symbolischer Ordnungen. Ebenso wie das variable und ambivalente Bild „des Tieres“ wird damit die Bestimmung der Mensch-TierBeziehung zu einem Schlüssel bei der Analyse sozialer Oeutungssysteme. Im Bereich individueller Interaktionsformen zeigt sich darüber hinaus an Hand der neueren Ergebnisse aus der Ethologie, dass Vertreter diverser tierlicher Spezies nicht nur komplexe innerartliche Sozialstrukturen unterhalten, außerordentliche kognitive Kompetenzen besitzen, Werkzeuge produzieren und Techniken tradieren, sondern auch als kommunikationsfähige Individuen in dauerhafte soziale Beziehungen mit Menschen eingebunden sind.
Trotz der offenkundigen Fruchtbarkeit des Untersuchungsgegenstandes „Mensch-Tier-Beziehung“ wurde ‚dieser bis heute zwar in zunehmendem Maße von den Geisteswissenschaften, kaum jedoch von den So zialwissenschaften aufgegriffen. Speziell in der Soziologie haben eine metaphysisch-humanistische Fundierung, die mangelnde Rezeption von Forschungsergebnissen aus Nachbardisziplinen und eine naturalistische
Sichtweise nichtmenschlicher Spezies für Berührungsangste und Tabuisierungen
gesorgt, die sogar zur Ausblendung ihrer gesellschaftl ichen Funktionen und symbolischen Verarbeitungsformen führten. Oer vorliegende Text soli sich jedoch nicht auf die an anderer Stelle untersuchte „Blindstellenproblematik“ der Soziologie konzentrieren, sondern das in der westlichen Kultur vorherrschende Tier-Bild im Kontext des menschlichen Selbst-, Gesellschafts- und Weltverständnisses beleuchten und dabei insbesondere auf neue Aspekte zur Rassismus- und Gewaltforschung
eingehen. Ganzer Text:
Mütherich, Die soziale Konstruktion des Anderen
Speziesismus, soziale Hierarchien und Gewalt
Von Birgit Mütherich
Einleitung: Die Tierrechtsidee steht – analog zur Menschenrechtsidee – für eine Auffassung vom Umgang mit dem Anderen, der auf Kommunikation, Respekt, (praskriptiver) Gleichheit und Gerechtigkeit beruht. Angesichts der realen Verhältnisse waren jedoch schon unterhalb dieser positiven Verhältnisbestimmung die Eindämmung der hemmungslosen Gewalt gegen Tiere und die Zuerkennung des Rechts auf physische und psychische Unversehrtheit ein enormer Fortschritt.
Das Problem ist nur: Obwohl die genannten positiven Prinzipien bekanntlich in der Ideengeschichte und während der langen Entwicklung demokratischer Gesellschaftskonzepte und ihrer Umsetzung in die Praxis vielfach proklamiert wurden, sind sie bis zum heutigen Tag auch im zwischenmenschlichen Bereich – von der privaten Lebensgemeinschaft bis in die internationale Politik – nicht durchgehend verwirklicht worden. Wie also kann es angesichts der problematischen Lage bei den Menschenrechten
mit ihrer viel alteren Rechtstradition gelingen, die Anerkennung der Grundrechte fUr tierliche Individuen gesellschaftlich und politisch durchzusetzen?
Hier gibt es etliche konstruktive Antworten und praktische Wege, die aber durch theoretische Analysen ergänzt werden müssen, denn beides geöort zusammen wie Diagnose und Therapie im medizinischen Bereich. Man karin also z. B. fragen: Was blockiert die Ausweitung der Tierrechtsidee am meisten? Man kann auch weiter fragen : Gibt es möglicherweise eine Verbindung zu den „Blockade-Grunden“ für Menschenrechte?
In den letzten Jahren haben viele Autorinnen und Autoren aus der Philosophie, die der Tierrechts-, der Menschenrechts- und der feministischen Bewegung nahe stehen, darauf hingewiesen, dass die systematische Ausbeutung und Vernichtung von Lebewesen auf Grund ihrer Nichtzugehörigkeit zur menschlichen Gattung – dieses Phänomen wird
bekanntlich als Speziesismus bezeichnet – moralisch ebenso verwerflich ist wie andere Ausgliederungs- und Unterdrückungsstrategien. Die wohl bekanntesten Vorurteils – und Ausschließungsmuster sind der Rassismus, die Diskriminierung auf Grund der Hautfarbe bzw. einer bestimmten ethnischen Zugehörigkeit, und der Sexismus, die Diskriminierung
auf Grundlage der Geschlechtszugehorigkeit, die sich faktisch fast immer auf Frauen bezieht. Die ethisch begründete Verurteilung von Rassismus, Sexismus, Speziesmus und anderen Ausgrenzungsformen ist wichtig, bleibt aber ein politisches Bekenntnis oder eine moralische Proklamation, wenn sie nicht die „Krankheitsursachen“ in den Blick nimmt.
An dieser Stelle mÖchte ich ansetzen und einen kleinen Beitrag zur Anlyse bzw. „Diagnose“ liefern, indem ich deren Gemeinsamkeiten und kultur lie Wurzeln beleuchte und nach ihren Funktionen innerhalb des – äußerst einflussreichen – westlichen Zivilisationsmodells frage. Ganzer Text:
Mütherich – Speziesismus, soziale Hierarchien und Gewalt
Mensch-Tier-Hierarchien im Namen der Tierrechte
Kritik an den Projekten „Animal First“ und „Non Humans First“
Menschenverachtende, diskriminierende und andere problematische Ansichten von Menschen, die sich für Tierrechte einsetzen, werden erfreulicherweise immer wieder thematisiert. Denn Tierrechte werden zunehmend nicht nur instrumentalisiert, um eine Ideologie anschlussfähiger zu machen und neue Sympatisant_innen und Aktivist_innen zu gewinnen, wie beispielsweise von rechtsextremistischen Personenkreisen. Es gibt auch Gruppen, die sich in erster Linie für Tierrechte einsetzen, sich aber nicht von rechtslastigen und anderen diskriminierenden Strömungen distanzieren und mit ihnen zusammen arbeiten oder auftreten. Entweder weil sie sich nicht darüber informieren oder nicht dafür interessieren und es ihnen schlicht egal ist, mit wem sie kooperieren. Damit tolerieren sie jedoch menschenverachtende Einstellungen und tragen mit dazu bei, diese selbst zu verbreiten und anschlussfähiger zu machen.
Eine Reaktion auf eine solche Entwicklung stellt der Offene Brief der Gruppe „Tierbefreiung Frankfurt“ an die Organisation „Animal First“ dar, die für ihre Selbstdarstellung unpolitisch zu sein, für menschenverachtende Äußerungen und ihre Zusammenarbeit mit und Verteidigung von Menschen kritisiert werden, die selbst rassistisch auftreten oder mit Rassisten kooperieren: http://www.tierbefreiung-frankfurt.org/blog/2015/07/offener-brief-an-animal-first/
Ein längerer Text, der bereits 2013 auf dem Blog der The Academic Abolitionist Vegan erschien und diesen Sommer in deutsch auf der Seite von „Tierrechte Aachen“ veröffentlicht wurde, kritisiert das „Non Humans First“-Projekt. Dieses kann beispeilhaft für Strömungen stehen, durch deren Aktivitäten Menschen physisch oder psychisch verletzt werden können, wenn innerhalb dieser die Überzeugung vorherrscht, den Kampf für Tiere als nicht nur vorrangig vor anderen Themen zu betrachten, sondern als ausschließliches Ziel zu sehen, für das sämtliche Methoden in Frage kommen, die auf Tierleid aufmerksam machen.
Auf dem Blog www.academicabolitionistvegan.blogspot.ie finden sich viele weitere spannende Texte, die international Entwicklungen kritisieren, in denen es vorrangig um Veganismus und Tierrechte geht, die intersektionelle Ansätze verfolge und eine kritische Auseinandersetzung mit verschiedenen Unterdrückungs- und Ausbeutungsformen fördern: http://tierrechte-aachen.de/2015/07/13/no-nonhumans-first_de.html