Veganismus und Konsumkritik

Veganismus als Teil des Problems

Konsumwahn und Umweltzerstörung innerhalb der globalisierten industrialisierten Zivilisation und mögliche Alternativen
Von Maryam

Es wird Zeit für Kritik an vermeintlichen Selbstverständlichkeiten und Übereinkünften zu veganem Konsum und damit einhergehenden Konsequenzen weitgehend undiskutierter politischer Praxen innerhalb und im Umfeld der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung. Für Kritik am reinen „Zutatenlistenveganismus“ ebenso wie an einem unpolitischen Konsumveganismus, der wenig bis nichts an den Mensch-Tier-Verhältnissen ändert und der in der Gesamtbilanz nicht für weniger Ausbeutung und Umweltzerstörung verantwortlich sein muss wie unveganer Konsum. Der folgende Text handelt daher von Problemen, Irrtümern und Widersprüchen im Umgang und der Bewerbung mit sowie der Kommunikation über einen Veganismus, der unreflektiert propagiert und unpolitisch konsumiert, weder theoretisch noch praktisch etwas für Tierrechte und Tierbefreiung beitragen kann.

Warum ist eine Orientierung an einem Zutatenlistenveganismus unzureichend oder kann zum Gegenteil der beabsichtigten Ziele führen? Wieso sollte es auch für Tierrechtler_innen und Tierbefreier_innen als nicht unproblematisch angesehen werden, Ersatzprodukte zu Fleisch oder Käse zu konsumieren und zu bewerben? Was sind grundsätzliche Probleme des durch den zivilisierten, zunehmenden großstädtischen Lebenswandel oft notwendigen (Kauf)konsums und wie sehen Alternativen dazu aus?
Der gesamte Text (etwa 9 Seiten) mit Fußnoten als pdf ist hier zu finden: Veganismus_als_Teil_des_Problems Er ist im Magazin TIERBEFREIUNG Nummer 84 (3/2014) zum Titelthema „Politischer Veganismus und Lifestyleveganismus. Warum „nur vegan“ nicht genug ist“ erschienen.

Inhaltsverzeichnis

  • Veganismus im globalisierten Kapitalismus – Unterstützung von Ausbeutung durch „vegane“ Produkte
  • Grenzen und Probleme von Zutatenlistenveganismus
  • Veganismus und Speziesismus
  • Die Lüge vom ethischen Konsum: Label und Zutatenlisten beruhigen nur und helfen selten
  • Alternative Versorgungsmöglichkeiten
  • Mehr als Veganismus – Menschen, Umwelt und kleinere Tiere mitdenken!

Vegan-Hype: Ursachen und Vereinnahmung aus kämpferischer Perspektive

Folgender Text wurde im März 2014 von der Antispe Tübingen veröffentlicht und thematisiert die Auswirkungen sowie unerwünschte Begleiterscheinungen und zu kritisierende Konsequenzen eines Veganismus, der als Trend Märkte schafft und Konsum ankurbelt.
Was heute alltäglich ist, hätte noch vor fünf Jahren kaum jemand aus der Tierrechtsszene für möglich gehalten: Geschäfte werben damit, dass sie vegane Artikel führen, große, bürgerliche Zeitungen wie die „Süddeutsche“ oder „Die Zeit“ behandeln den Veganismus in ganzseitigen Artikeln, im Privatfernsehen wird über Veganismus gesprochen, große Fleischkonzerne bringen vegane Produktlinien heraus.1 Sind wir dabei zu gewinnen? Nein und ja…
Der Hype in Zahlen
Es herrscht ein Vegan-Hype, das ist nicht zu leugnen. Und an seinem Aufkommen sind „wir“ Tierbefreierinnen maßgeblich beteiligt.2 Seit Jahrzehnten stehen sich Generationen von Tierrechtlerinnen und Tierbefreierinnen3 auf den Straßen dieser Welt die Beine in den Bauch, um Veganismus-Flyer zu verteilen, streiten sich mit Laden- und Restaurantbesitzerinnen, um etwas ohne Milch, Ei und Fleisch zu bekommen und sorgen mit nächtlich sabotierten Tierbetrieben ab und zu für Schlagzeilen. Den Vegetarismus und den Veganismus in der Welt bekannt zu machen, hat „uns“ Jahrzehnte der Mühe, Arbeit, des Aktivismus, der gemeinsamen Kämpfe, der Kreativität und so weiter gekostet. Das war nicht umsonst, denn ohne „uns“ gäbe es diesen Vegan-Hype heute sicher nicht. Da können wir uns getrost gegenseitig auf die Schultern klopfen und feiern!

Dennoch sollten wir uns auch von diesem ersten großen Erfolg nicht blenden lassen. Schließlich bedeutet der Vegan-Hype keineswegs, dass dadurch weniger Tiere4 gefangen gehalten, gequält und ermordet werden. Obwohl sich die Zahl der Vegetarierinnen in Deutschland laut einer Studie der Universitäten Göttingen und Hohenheim seit 2006 verdoppelt5 hat (laut diesen Zahlen auf 3,6 Prozent der Gesamtbevölkerung, andere Zahlen geben schön länger weit höhere Prozentsätze an) und dem Meinungsforschungsinstitut forsa nach rund 52 Prozent der Bundesbürgerinnen angeben, weniger Fleisch essen zu wollen, kann der Bundesverband der Deutschen Fleischwarenindustrie gelassen berichten, dass der Pro-Kopf-Jahresfleischverbrauch in Deutschland von 2001-2012 stabil war und erst 2013 um 2,1 Kilo auf 59,2 Kilo sank.6 Dies bestätigt die Prognose des marxistischen Antispeziesisten Marco Maurizi, dass der Veganismus nicht die Ausbeutung der Tiere* beenden kann.7 Die individuelle Konsumhaltung ist im Kapitalismus nicht direkt mit der Produktion verknüpft, da dort nicht zur Befriedigung von Bedürfnissen, sondern für Profite produziert wird. So kann beispielsweise eine starke vegane Bewegung dazu führen, dass das Fleisch billiger wird und die fleischkonsumierende Bevölkerung umso mehr Fleisch isst. Genau das könnte auch die momentane Situation erklären, ist aber nur eine der vielen komplexen Wechselwirkungen der Ökonomie. Hinzu kommt, dass die Fleischindustrie durch die EU und die Bundesländer auch noch millionenschwer subventioniert wird; die PHW-Gruppe („Wiesenhof“) erhielt beispielsweise alleine vom Land Niedersachsen im Jahr 2007 4,2 Millionen Euro.8 Weiterlesen auf dem Blog der Antispe Tübingen.

Restless Vegans Manifesto / Manifest der rastlosen Veganer*innen

Von türkischen Aktivist_innen, November 2013
„RASTLOSE VEGANER_INNEN“ RUFEN DIE TIERRECHTSBEWEGUNG ZUR ZWEITEN WELLE AUF. „Vegane Propaganda überschattet die Theorie gegen Unterdrückung durch eine auf Konsum basierende Praxis“

Das ist die Einleitung des Manifests einiger türkischer Tierbefreiungsaktivist*innen, welches im November des vorigen Jahres auf Türkisch und Englisch veröffentlicht wurde. Das Manifest enthält die Überlegungen einiger veganer/vegetarischer Tierbefreiungsaktivist_innen zur Entwicklung des Veganismus. Das Treffen zu diesem Thema fand am 2. November 2013 in Namekan Sanat Sepet (İzmir, Türkei) statt. Die Überlegungen sind im Konsens im Anschluss an das Treffen niedergeschrieben worden und stehen zur Diskussion und Ergänzung.

Eine Weiterführung dieser Diskussion wird in verschiedenen Städten erwartet und erwünscht, mit dem Ziel, ist die Selbsthinterfragung von Menschen zu fördern, die dem Tierbefreiungsdiskurs und dem Veganismus nahe stehen. Ein Richtungswechsel im persönlichen und politischen Sinne wird angekündigt.

In dieser Hinsicht enthält nahezu jede im Manifest erwähnte Kritik Selbstkritik. Wir haben diesen Text auf deutsch übersetzt und möchten damit die Arbeit der türkischen Compas unterstützen, die Veganismus nicht als Ziel, sondern Tierbefreiung als integralen Bestandteil des Widerstandes bekräftigt.

Die Analysen in diesem Text, von der Kritik der Gesellschaft des Konsums und des Spektakels bis zu den Verbindungen zwischen modernen industrieller Zivilisation und der Unterdrückung von Tieren, teilen und schätzen wir als wertvollen Impuls für eine Bewegung, die gesättigt zu werden droht.

Der Text in englischer und in deutscher Sprache.

Er wird empfohlen, weil er unter anderem folgende Themen behandelt, die in Tierrechts-/Tierbefreiungskreisen noch eher selten eine Rolle spielen:
– Zivilisationskritik
– die Kritik an veganer Identität und die Abwertung von nicht vegan lebenden Menschen
– die Kritik an Konsum und Einteilung in erlaubte und verbotene Produkte
– die Kritik am Konsum von Produkten mittels finanzieller Nachfrage generell, insbesondere veganer Supermarktprodukte, für deren Herstellung (durch Anbau, Transport, Verpackungen usw.) unzählige Insekten, kleine Säugetiere u.a. sterben
Und er wirft zum Beispiel folgende Fragen auf:
– Was ist das für ein Veganismus, der abgepackte Supermarktprodukte (für deren Zutaten bspw. Menschen anderer Kontinente wie Sklaven leben, Land vernichtet wird und auch Tiere wegen des Anbaus getötet wurden) in die Kategorie erlaubter Produkte einordnet , nur weil auf der Zutatenliste keine tierlicher Inhaltsstoffe enthalten sind?
– Kann technologischer Kapitalismus vegan sein, wenn für Computer oder Smartphones Metalle in Minen gewonnen werden, in denen Menschen ausgebeutet werden?
– Ist es noch Antispeziesismus, wenn nicht alle Arten von Ausbeutung kritisiert werden und ist es nicht eher speziesistisch, wenn nur die Ausbeutung bestimmter Arten von Tieren abgelehnt und verurteilt wird ? (und die von Menschen zum Beispiel aber nicht, wenn veganer Konsum propagiert wird und sich im nächsten Moment ein neues technisches Gerät gekauft wird)
– Können nicht-motorsierte Nicht-Veganer_innen vielleicht nachhaltiger leben und weniger Tieren schaden als motorisierte Veganer_innen?
– Gibt es die in der Tierrechtsbewegung (teilweise konstruierte) Trennung von Abolitionismus und Reformismus wirklich oder existiert sie nur theoretisch?
– Was können wir tun, um die Ausbeutung und Unterdrückung von Tieren und Umweltzerstörung ebenso bekannt zu machen, wie zwischenmenschliche Missstände, damit sie auch als soziale Ungerechtigkeiten begriffen werden?

Vegane Identitätspolitik
Von Espi Twelfe
Ein interessanter Text zum Thema Identität, deren Konstruktion und Dekonstruktion in Bezug auf „vegan-sein“ und Veganismus. An dem Beispiel werden aus- und einschließende Praxen, Zuschreibungen sowie Inszenierung undGrenzziehungen von veganer Indentitätsbildung erläutert und wie die Zweiteilung in vegan und nicht-vegan und die Selbstbeschreibung als vegan-sein, die Reflektion von Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnissen erschweren kann und zu Verkürzungen und Vereinfachungen führt. Kollektive Identität und deren problematische Auswirkungen und die Befreiung von Identitätsbildung als Ausweg und Voraussetzung für eine grundsätzliche Herrschaftskritik werden ebenso kurz thematisiert.
Erschienen in „Mensch.Macht.Tier. Antispeziesismus und Herrschaft“ in der Reihe Fragend Voran des SeitenHieb Verlages 2006.
Text:
Vegane Identitätspolitik, Espi

Vegan – ökologisch – politisch
Von Jörg Bergstedt
Ein streitbarer, provokanter und daher sehr interessanter Text, der ebenfalls im dem Reader „Mensch.Macht.Tier“ zu finden ist.
Neben der oft erwähnten Komplexität der Auswirkungen von menschlichem Handeln und der Aufforderung mehr zu hinterfragen und komplexer zu denken, werden die oft in Texten zum Thema Veganismus unerwähnten und unbequemen Details von Nahrungsmittelproduktion erläutert und begründet, weshalb es keine vegane Ernährung gibt, die keine negativen Wirkungen auf Tiere mehr hätte. Containern (auch von nichtveganen Lebensmitteln) wird als Alternative vorgestellt, bei der Eingriffe in die Umwelt sowie Benutzung und Mord von Tieren reduziert und nicht mehr durch finanzielle Nachfrage gefördert werden.
Text: vegan-ökologisch-politisch, Bergestedt

Der Zoo Dresden
Ein Text anlässlich seines 150-jährigen Jubiliäums.
„Zynismus als Reinform oder die Lobpreisung der Schande“,
Von Maryam
Der Text zum wurde anlässlich des 150- jährigen Jubiläums des Dresdner Zoos veröffentlicht, um eine Gegenöffentlichkeit zur ausschließlich unkritischen Berichterstattung in der regionalen Medienlandschaft zu schaffen. Er dient einerseits zur Aufklärung über die vorherrschenden Missstände im Zoo, andererseits werden hier auch die immer wiederholten Rechtfertigungen für das Einsperren von Tieren, wie z.B. der Erhaltung bedrohter Tierarten, der Forschung oder der Bildung widerlegt. Der Propaganda von Stadt und Zoo werden Gegenargumente geliefert und die gängigen Argumente für Zoos als Vorurteile und Irrglauben entlarvt. Wir fordern die Abschaffung des Zoos, sowohl in Dresden als auch in anderen Städten, weltweit. Link zum pdf

Warum keine Milch
Von Maryam
Der Text entstand anlässlich des Startes der Kamapgne gegen Tiermilchkonsum.
Er enhält Abschnitte zum Thema Haltungsbedingungen, dem Kreislauf von Schwangerschaft und Milchproduktion, Kälber als Abfall für die Fleischindustrie, zu den katastrophalen Folgen für Tiere, Umwelt und Menschen und widerlegt die Argumente der Milchindustrie.
Einleitung: Alle Säugetiere benötigen anfangs Muttermilch. Milch bildet während der Stillzeit die Lebensgrundlage für jedes Neugeborene. Sie erfüllt den Zweck, das Wachstum und die Kräftigung des Nachwuchses zu fördern und das Immunsystem aufzubauen.
Viele Menschen glauben aber, Tiermilch sei gesund für Menschen und Kühe gäben immer Milch. Jedoch ist Muttermilch nur im Säuglingsalter gesund und nur von der eigenen Art, nicht von einer anderen. Kuhmilch ist für den Organismus von Kälbern vorgesehen und nicht für Menschen geeignet. Zudem geben Kühe, wie alle Säugetiere, nur Milch, wenn sie Nachkommen geboren haben. Für die Milchproduktion müssen deshalb die Kälber ihren Müttern weggenommen und getötet oder getrennt für die Milchproduktion aufgezogen werden. Dennoch sterben sowohl die Kälber als auch die Milchkühe spätestens nach wenigen Jahren in einem für sie sehr jungen Alter, weil schon nach 2-4 Schwangerschaften die Milchleistung nachlässt und weniger, zu wenig Profit für die Milchindustrie bringt. Ein Kreislauf entsteht, der die Kühe zu Milchmaschinen degradiert, der Menschen und Tieren schadet und zur Umweltzerstörung beiträgt.
Der gesamte Text: Warum keine Milch